Positionspapier der BürgerInneninitiative Umweltfreundliche Energieversorgung für die Region Kiel
- gegen das geplante Großkohlekraftwerk - vom 8.10.2007
6 Eckpunkte:
1. Weder Atomkraft noch Kohlekraft, sondern konsequenter Klimaschutz
2. Ausrichtung auf eine Regionalversorgung für Kiel und Umgebung
3. Energie sparen und Effizienz erhöhen
4. Nachhaltige Energieversorgung auf dezentraler Basis
5. Arbeitsplätze für die Region erhalten und neue schaffen
6. Rekommunalisierung der Stadtwerke und demokratische Kontrolle
1. Weder Atomkraft noch Kohlekraft, sondern konsequenter Klimaschutz
Die Klimaveränderungen sind eine reale Bedrohung unserer Lebensgrundlagen. Trotzdem planen die Stromkonzerne den Bau von über 40 Stein- und Braunkohlekraftwerken in Deutschland. Eine Durchführung dieser Pläne würde eine jahrzehntelange Festlegung auf den Energieträger Kohle bedeuten und einen weiteren Ausbau von erneuerbaren Energien verhindern. Aus Gründen der historischen Verantwortung und der zunehmenden Knappheit der fossilen Rohstoffe und nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen ist stattdessen ein radikales Umsteuern erforderlich – vor allem in den Industrieländern. Im Energiesektor lässt sich dies nur erreichen, wenn konsequent Energieeinsparung, Steigerung der Energieeffizienz und der Einsatz erneuerbarer Energieträger umgesetzt werden. Das bedeutet die Überwindung der atomar-fossilen Großkraftwerksstruktur. Diese Erkenntnis beruht auf einer Vielzahl nationaler und internationaler Studien.
In der Landeshauptstadt Kiel ist im Bereich der leitungsgebundenen Energien, also der Strom-, Gas- und Fernwärmeversorgung im Jahr 2004 mehr CO2 ausgestoßen worden als im Jahr 1990. Der letzte Energiebericht bestätigt, dass auch im Bereich der städtischen Liegenschaften letztlich nur witterungsbedingte Schwankungen festzustellen sind, aber keine durchgreifenden strukturellen Verbrauchssenkungen stattgefunden haben.
Vor diesem Hintergrund ist die Absicht von e.on und den Stadtwerken, das heutige Gemeinschaftskraftwerk Kiel (GKK) im Jahr 2015 durch ein neues, erheblich größeres Kohlekraftwerk ersetzen zu wollen, zugleich eine klimapolitische Bankrotterklärung für die nächsten Jahrzehnte! Dies und die Tatsache, dass sich die LH Kiel zur Klimaschutzstadt erklärt hat, erzwingt eine Ablehnung dieser Planung und eine ernsthafte Prüfung möglicher Alternativen, die die Energieversorgung der Region in Richtung einer nachhaltigen und klimaschonenden Struktur umgestalten.
Wir fordern: Stoppt den Bau des Groß-Kohlekraftwerks!
2. Ausrichtung auf eine Regionalversorgung für Kiel und Umgebung
Mit dem GKK, dem Heizkraftwerk Humboldtstraße, dem Heizkraftwerk MVK und den Heizwerken Nord in Kiel-Wik, West in Mettenhof, Süd in Hassee und Ost auf dem Gelände
des GKK verfügt Kiel über eine installierte Gesamtleistung beim Strom von knapp 400 Megawatt (MW), bei der Wärmeversorgung von knapp 900 MW. Die auf jeden Fall sicherzustellende Spitzenlast im Strombereich beträgt bei der Stromversorgung rund 240 MW und bei der Wärmeversorgung rund 430 MW. Damit verfügt Kiel über Strom- und Wärmeerzeugungs- bzw. Umwandlungsanlagen, die schon jetzt über dem Spitzenbedarf liegen.
Die Vorstellungen der Anteilseigner des Kieler Gemeinschaftskraftwerkes, Energiekonzern Eon und die Stadtwerke Kiel (51% MVV + 49% Stadt Kiel) drehen sich im Kern nicht um den Aufbau einer sicheren und nachhaltigen Energieversorgung für die Region Kiel (Landeshauptstadt Kiel und Umlandgemeinden), sondern darum, durch den Neubau eines mindestens 800 MW-Steinkohlekraftwerkes auf dem Kieler Ostufer maximal Geld im europäischen Stromhandel zu verdienen.
Wir lehnen den Neubau eines Kraftwerkes in der geplanten Größe ab, weil er allein dem Zweck dienen soll, mit Billigstrom auf dem liberalisierten Markt maximale Profite zu erlangen und die Monopolstellung der großen Energiekonzerne zu festigen. Das Anliegen der hier lebenden Menschen dagegen ist die Sicherstellung der Versorgung mit Strom, Gas und Fernwärme. Sie gerät unter diesen Bedingungen in eine untergeordnete Rolle. Dabei ist gerade die Versorgungssicherheit eine Grundaufgabe der kommunalen Selbstverwaltung. Sie muss vor allen anderen Interessen wieder zum wichtigsten Maxime kommunaler Daseinsvorsorge werden, indem sie auf die regionalen Bedürfnisse der Menschen abgestimmt wird.
Wir fordern: Statt Energieexport – Versorgungssicherheit für die Region!
3. Energie sparen und Effizienz erhöhen
Die Landeshauptstadt Kiel ist Mitglied im Internationalen Klimabündnis Europäischer Städte. Diese haben auf der Jahreskonferenz 2007 in Zürich beschlossen, ihren CO2-Ausstoß bis 2030 um 50% gegenüber 1990 zu senken.
Die bisherige Bilanz der „Klimastadt Kiel“ ist ernüchternd: im letzten verfügbaren Energiebericht 2004 der Stadt Kiel heißt es: „ Die über Sanierungsmaßnahmen, Betriebsüberwachung, Innerstädtisches Contracting und das Projekt „Fifty-Fifty nachweisbaren Energieeinsparungen werden derzeit noch durch Mehrverbräuche in anderen Liegenschaften überkompensiert. Durch ein effektiveres Energiemanagement und eine integrale Planung wäre ein Gegensteuern möglich.“ Schon im Vorwort wird empfohlen, das Energiemanagement als strategische Aufgabe auszurichten und über die Festlegung von Energieleitlinien, Energiestandards und Selbstverpflichtungen voranzukommen. Die Faktenlage bei den städtischen Liegenschaften ist ähnlich ernüchternd wie bei der oben dargestellten Gesamtverbrauchsentwicklung. So wird festgestellt, dass bei den 34 Hauptverbrauchern von 1996-2003 zwar ein CO2-Rückgang festzustellen ist, dass aber bei Witterungsbereinigung der zuzuordnende CO2-Anteil um einen Prozent gestiegen ist.
Und den Geschäftsberichten der Stadtwerke Kiel ist zu entnehmen, dass von 1990 bis 2005 mehr Strom, Gas und Fernwärme verkauft wurden, also im Bereich der leitungsgebundenen Energieversorgung keinerlei Senkung des CO2-Ausstoßes stattgefunden hat.
Die Ratsversammlung hat im Oktober 2005 die Konsequenzen daraus gezogen und folgenden einstimmigen Beschluss gefasst: „Die OB wird aufgefordert, in Abstimmung mit den Stadtwerken auf Grundlage des § 2 des Konzessionsvertrages mit den Stadtwerken vom 21.11.1996 ein nachhaltiges kommunales Energie- und Klimaschutzkonzept zu entwickeln, um schrittweise die Abhängigkeit vom Erdöl abzusenken und verstärkt Energieeinsparen, rationelle Energieverwendung und Nutzung erneuerbarer Energien zu fördern.“
Der Konzessionsvertrag zwischen Stadt und Stadtwerken lässt der Stadt eigentlich eine Menge Möglichkeiten, um die Klimaschutzziele voranzutreiben. Es muss festgestellt werden, dass eine kontinuierliche gemeinsame Umsetzung der Ziele des Vertrages bisher nicht stattgefunden hat.
Wenn Kiel seinen Anspruch als Klimastadt aufrecht erhalten will, kommt es entscheidend darauf an, die Planung eines Kraftwerk-Neubaus, seine grundsätzliche Notwendigkeit, seine Größe und den zu wählenden Brennstoff im Zusammenhang mit dem noch ausstehenden Energie- und Klimaschutzkonzept der Stadt Kiel zu diskutieren und zu entscheiden.
Für ein ökologisch ausgerichtetes Energieversorgungskonzept müssen als erste Schritte geprüft werden:
- ein umfassendes Gebäudesanierungs- und Wärmedämmprogramm. Dies betrifft sowohl die städtischen Liegenschaften als auch den privaten Gebäudebestand, verbunden mit der Einführung des Energiepasses. Hierbei muss sichergestellt werden, dass diese Maßnahmen nicht zu einer ungerechtfertigten Erhöhung der Mieten führen und somit wieder zu Lasten der VerbraucherInnen gehen.
- weitere Schritte zur Stromeinsparung mit verbraucherInnengerechter Tarifstruktur
- Analyse der vorhandenen Struktur der Energieumwandlungsanlagen und Prüfung, in welcher Weise der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung erhöht werden kann,
- der Ausbau erneuerbarer Energien,
- ie Wahl einer Stromerzeugungsanlage mit dem höchsten Gesamtwirkungsgrad und den geringsten Emissionen.
Wir fordern: Klimakonzept endlich umsetzen: CO2-Ausstoß reduzieren!
4. Nachhaltige Energieversorgung auf dezentraler Basis
Unter einer nachhaltigen Energieversorgung verstehen wir die Nutzung von regenerativen Energien, wie zum Beispiel Windenergie, Wasserenergie, Solarenergie, Geothermie und Biomasse.
Vor dem Hintergrund der dringend notwendigen CO2-Reduzierung ist zu prüfen, ob ein neues Gemeinschaftskraftwerk (GKK) erforderlich ist. Dazu ist es nötig, dass die Stadt und die Stadtwerke langfristige Bedarfsprognosen für den Strom- und Wärmebedarf der Region vorlegen. Grundlage der zukünftigen Kieler Energieversorgung ist der Ausbau und die flächendeckende Nutzung der dezentralen Anlagen in der Stadt und dem Umland. Diese Anlagen sollen:
- das Kraft-Wärme-Kopplungspotenzial ausschöpfen – im privaten Bereich, in den Betrieben und in den städtischen Liegenschaften,
- dabei das Biomassepotenzial der Region auf der Basis der vorhandenen Reststoffe ausnutzen, wobei darauf zu achten ist, dass Biomasse aus dem normalen landwirtschaftlichen Betrieb keinesfalls in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion gerät,
- die Solarthermie und Photovoltaik weiter ausbauen,
- die Geothermie zur Wärmeerzeugung nutzen.
Die Ausschöpfung dieser Potenziale ermöglicht es, auf dem GKK-Standort ein Kraftwerk für die Fernwärmeversorgung neu zu bauen, das kleiner als das heutige auszulegen ist.
Wir fordern: Umbau der Energieversorgung mit dezentralen und ökologischen Anlagen
5. Arbeitsplätze für die Region erhalten und neue schaffen
Der Bau eines größeren Kohlekraftwerkes würde keinen Beitrag für die weitere regionalwirtschaftliche und die Arbeitsplatzentwicklung leisten. Der Presse war zu entnehmen, dass beabsichtigt ist, 1 Mrd. Euro zu investieren und auf Dauer 100 Arbeitsplätze im neuen Kraftwerk zu halten. Heute sind im GKK 108 Menschen beschäftigt. Es würde also kein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen.
Die Umsetzung eines ökologisch ausgerichteten Energieversorgungskonzeptes ist mit Blick auf die regionale Wertschöpfung dagegen die bessere Alternative. Vor allem bedeutet die Umsetzung einer solchen Konzeption, dass schrittweise viele Ausbildungs- und Arbeitsplätze in der Region geschaffen werden können.
Das Ziel der Energieeinsparung ist ein wichtiges, neues Aufgabenfeld der Stadtwerke. Sie wissen am besten, wo besonders viel Energie verbraucht wird und könnten Betriebe und VerbraucherInnen beraten, wo Energie eingespart werden kann. Ein Konzern, der daran verdient, wenn er möglichst viel Strom verkauft, hat daran aber kein Interesse. Auch hier zeigt sich der Interessengegensatz: während gerade Energieeinsparung viel Personal, Fortbildung und Beratung bei den Stadtwerken erfordert, setzt der MVV-Konzern genau dieses notwendige Fachpersonal vor die Tür.
Dass weitere Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, zeigt die Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien, ebenso wie die Entwicklung im klein- und mittelständischen Handwerk. Letztere würden mit der energetischen Sanierung des Gebäudebestandes einen Boom erleben.
Hier liegen auch die Chancen für Stadtwerke und privates Gewerbe: neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Stadtwerken, dem Handwerk und der Industrie bringen Vorteile für alle Beteiligte – und auch für die regionalwirtschaftliche und soziale Entwicklung der Stadt.
Wir fordern: Arbeitsplätze für die Region durch Gebäudesanierung und Ausbau erneuerbarer Energien.
6. Rekommunalisierung der Stadtwerke und demokratische Kontrolle
Ein grundlegendes Problem bei der Umsetzung dieser nachhaltigen Energieversorgung ist die zur Zeit fehlende demokratische Kontrolle der Betriebe der Daseinsvorsorge.
Um eine nachhaltige Energieversorgung im Interesse der BürgerInnen sicherzustellen, muss die Stadt den Einfluss auf die Zielvorgaben und die Kontrolle über diese Betriebe zurückholen. Nur so kann sie die Verantwortung gegenüber ihren BürgerInnen wahrnehmen. Dazu gehört auch, das operative Geschäft der Stadtwerke Kiel wieder unter ihre Regie zu bekommen.
Dazu gehören folgende Punkte:
- Der Rückkauf der 51%-MVV-Anteile muss durchgesetzt werden. Die dafür nötigen finanziellen Mittel können mittels günstiger Kredite beschafft und aus den Überschüssen der Stadtwerke refinanziert werden.
- Die Ergebnisse des im Juni 2007 eingerichteten „Runden Tisches“ (Stadtwerke und Ratsversammlung) müssen öffentlich diskutiert werden.
- Der Auftrag der Ratsversammlung vom Oktober 2005 ist endlich zu erledigen und ein Energiekonzept für die Region ist vorzulegen, das die Ziele der „Klimastadt Kiel“ erfüllt.
- Alle Verträge (z. B. Konsortialvertrag, Konzessionsvertrag, Gesellschaftervertrag) mit privaten Unternehmen, die die Daseinsvorsorge betreffen, sind offen zu legen.
- Die Ratsmitglieder sind zur Rechenschaft über ihre Tätigkeit in den kommunalen Betrieben zu verpflichten.
- Um den Interessen der Kieler Bevölkerung und des Umlandes gerecht zu werden, halten wir auch ein Bürgerbegehren für notwendig.
Wir fordern: Einflussmöglichkeiten zurückholen!
Erstunterzeichner: Ahmed-Rashid Mohamed, (Attac-Kiel), Bettina Beszus (Frauenverband Courage e. V.), Carsten Appel (DIE LINKE), Claudia Bielfeldt (BUND KV Kiel), Doris Kramer (Attac-Kiel), Dr. Ursula Müller, Eva Dockerill (SALZ e. V., DIE LINKE), Gerd Cornelsen (SPD, Mönkeberg), Hannelore Titze (MLPD), Hans-Werner Tovar (Ratsherr, SPD), Hilma Menchau, Kay Kollmann, Manfred Schikorr (B90/DIE GRÜNEN), Marianne Deckert (Attac-Kiel), Peter Graun, Peter Hartz (VDI), Peter Liebetrau, Peter Thompson, Rainer Jansen, Stefan Moldzio (Bürgerbewegung Kryo-Recycling u. Kreislaufwirtschaft e. V.), Ulrich Hühn (B90/DIE GRÜNEN, Kreis Plön), Uwe Kern, Uwe Stahl (Attac-Kiel, verdi Kiel/Plön), Veronika Gogolok (Attac-Kiel), Wilfried Voigt (B90/DIE GRÜNEN), Wolfgang Buck (Attac-Kiel)